Wir haben die Nürnberger Galeristen Klaus Bode und Laurentiu Feller gefragt, welche Bedeutung Kunst in unserer heutigen Gesellschaft hat, und wie beziehungsweise, ob sie sich in Zeiten der Digitalisierung verändert.
Text: Heike Aigner Bilder: Matthias Schäfer
Welchen Einfluss hat die KI auf die Kunst?
Klaus Bode: Der Unterschied zwischen KI als „Bildgenerator“ und dem wahren Künstler ist, dass die KI nur alles bis zum Status von vor zwei Jahren verwendet. Es gibt ja keine Echtzeit-KI, die alles aufsaugt. Alles muss zunächst verarbeitet werden. Echte Künstler arbeiten im Gegensatz dazu ein bisschen wie Wissenschaftler. Sie recherchieren, wie sich Kunstgeschichte entwickelt hat, gehen in die Vergangenheit. Das ist die Basis, auf der sie dann aus ihrer individuellen Persönlichkeit heraus ein Werk erschaffen, das in die Zukunft wirkt. Das ist der ganz große Unterschied zwischen einer künstlerischen Arbeit eines Menschen und der KI – das Zukunftswirken. Die KI müsste ein visionäres Szenario vorausrechnen. Wenn sich morgen Dinge ändern, egal in welcher Weise, hat sie den Faktor noch gar nicht präsent. Es fehlt die Verstetigung durch einen Menschen, egal ob es rezipiert wird oder nicht. Ein Künstler beutet sich aus und arbeitet geistig ganz anders, das macht eine KI nicht.
Kunst ist Kommunikation.
Laurentiu Feller: Ich habe mich mit zwei Künstlern, die mit der KI arbeiten, in den vergangenen eineinhalb Jahren intensiv auseinandergesetzt. Es ist erschreckend, welches Ergebnis im positiven Sinn herauskommen kann, wenn man die KI mit eigenen Beispielbildern und Informationen „füttert“. Das Ergebnis ist vom Gestus her sehr identisch mit dem, was der Künstler kreiert hätte. Es ist erstaunlich, wie schnell die KI lernt. Ein interessantes Tool. Dennoch war es nur ein Schritt innerhalb des künstlerischen Schaffensprozesses.
Ein anderer stellt das Ergebnis, das er nach seinen Angaben und seiner Idee aus der KI erhält in einem Gemälde dar. Er malt es selbst. Das Resultat daraus ist, dass er es wieder übersetzt hat. Dieser letzte Schritt, dass der Künstler selbst noch einmal handwerklich tätig wird, ist selten. Bei 98 Prozent der Kunstschaffenden, die mit der KI arbeiten, findet der Gedanke und die Kreativität auf der digitalen Ebene statt. Es bleibt eine digitale Arbeit. Es fehlt das künstlerische Ringen um das Ergebnis. Neben dem analogen gibt es einen großen digitalen Kunstmarkt, wo, überspitzt gesagt, die einzige Wahrheit digital ist, vor allem in Amerika gilt es schon als wahre Kunst. Für mich ist sie das nicht. Deshalb habe ich vor 20 Jahren auch eine „analoge“ Galerie gegründet, genauso wie Klaus Bode. Die Menschen kommen, schauen sich die Kunst an, sind im Austausch, bewerten, diskutieren – live. Ich denke, ich werde mich immer gegen den digitalen Markt positionieren.
Klaus Bode: Wir haben neben der analogen auch eine virtuelle Galerie. Die Investition haben wir während der Pandemie getätigt, damit unsere Arbeit im Lockdown weitergehen kann.
Für uns ist es ein wichtiges Planungstool geworden. So können wir relativ einfach auch unseren Sammlern die Werke in Südkorea online näherbringen, indem wir Ihnen einen virtuellen Rundgang durch die Galerie bieten.
Aber die physische Galerie wird bleiben. Wir sind soziale Wesen und Kunst ist der Kitt, nicht nur Kunst, sondern Kultur im Allgemeinen. Wenn wir gemeinsam im Theater oder in der Oper sitzen und Kultur erleben, ist das ein verbindendes Element und das funktioniert im virtuellen Raum nicht. In dem Zusammenhang kommen wir auch zu der Grundfrage: Was kann Kunst leisten? Kunst schafft eine Verbindung auf einer anderen Ebene. Hört sich vielleicht etwas esoterisch an, aber keine Angst, ich bin bodenständiger Franke. Diese Metaebene ist etwas, was wirklich existiert. Wir erleben das zum Beispiel in Südkorea, in einem komplett anderen Kulturkreis. Wenn wir die Ideen von Künstlern vom Deutschen ins Englische und vom Englischen ins Koreanische übersetzen, dann ist das wie stille Post spielen. In meiner Galerie in Daegu führe ich Gespräche nonverbal, mit Händen und Füßen, aber es bleibt eine nonverbale Kommunikation, die in der Kunst interkulturell möglich ist. Im Maschinenbau beispielsweise funktioniert das nicht, da müsste man einen Fachmann fragen, ob er eine Stanzmaschine auch auf der Metaebene vermitteln kann.
Mit Kunst geht das. Ein Beweis dafür ist auch, dass die Herrschenden das auch so sehen, denn das Erste, was in einer Diktatur verboten wird, ist die Kunst. Was nicht in die Ideologie passt, muss weg. Wir können uns in der Kunst auf einer anderen Ebene unterhalten, verbinden, andere Standpunkte vermitteln. Man beschäftigt sich mit etwas, das keinen direkten monetären Nutzen hat – wenn wir ins Museum gehen, können wir keinen unmittelbaren Wert daraus schöpfen – aber trotzdem lassen wir uns auf ein Wissen, auf etwas Geschaffenes, auf die Kreativität eines anderen ein und profitieren davon, in dem wir das Weltengetriebe ganz kurz aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Genau dieser Vorsprung ist beispielsweise für einen Unternehmer wichtig, der den Zeitgeist ein bisschen früher erspüren will als die Konkurrenz. Ganz oft kommen Kunden und sagen, sie haben nicht so viel Geld für eine Sammlung. Die großen Sammlungen beginnen immer mit einem Interesse für Kunst, nicht mit einem großen Geldbeutel. Mit dem Interesse für Kunst wächst auch der Geldbeutel. Ein Beispiel: Wir haben in Nürnberg die AEG entwickelt. Das war eine Industriebrache. Ein findiger Unternehmer hat mit Kunst das ganze Areal belebt und hat dem Komplex eine neue Seele eingehaucht. Jetzt ist es ein Kreativstandort, der sehr profitabel ist. Das funktioniert in der Stadtentwicklung wie im industriellen Bereich. Das kann nur Kunst bewirken.
Laurentiu Feller: Da sind wir auch bei der Frage: Welchen Wert hat Kunst für die Gesellschaft? Kunst ist etwas, das die Gesellschaft zusammenhält. Es ist eine zentrale Kommunikationsebene.
Klaus Bode
Laurentiu Feller
Geht es bei dem Wert für die Gesellschaft darum, dass sich Menschen gemeinsam für Kunst interessieren und miteinander einen Austausch pflegen, also die Gemeinschaft dahinter oder ist es die Kunst an sich, die aus sich spricht und dadurch etwas verändert?
Klaus Bode: Es ist der einzelne Austausch. Die konkrete Konfrontation mit dem Kunstwerk, in dem Moment, wo wir uns darauf einlassen. Gute Kunst muss etwas beinhalten, etwas Rätselhaftes. Ein Kunstwerk muss mich immer erst einmal ratlos hinterlassen. Und diese Ratlosigkeit löst einen Prozess aus, Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Und das hört nicht auf, wenn ich auf die Straße gehe. Es verändert die Wahrnehmung. Es beginnt ein Schulungsprozess für die eigene Wahrnehmung. Nehmen wir ein Beispiel aus der Kunstgeschichte: Georg Baselitz beispielsweise drehte alle Bilder auf den Kopf, das haben schon die Künstler in der Früh-Renaissance praktiziert. Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist. Das ist ein Faktum. Ungefähr im sechsten Lebensjahr beginnt das Gehirn in Schubladen zu denken, anders ist diese Rechenleistung des Gehirns nicht zu bewältigen. Denn alles, was wir sehen, wird verkehrt herum aufs Auge projiziert und das Gehirn rechnet das in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit wieder um. Also steht eigentlich alles, was wir sehen, auf dem Kopf. Man muss sich mal vorstellen, man fährt mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn und es wird alles in Echtzeit umgerechnet, kein Supercomputer könnte das leisten. Es ist unglaublich, was das menschliche Gehirn vermag. Das schafft es nur, weil es auf tradierte Seherfahrungen zurückgreift. Wenn wir einen Baum sehen, spiegelt das Gehirn einen Baum rein, den wir vor längerer Zeit gesehen haben. Den Künstlern in der Früh-Renaissance ist das aufgefallen. Sie haben eine Raumperspektive aus der Anschauung entwickelt, beispielsweise eine Pinienallee, die sich in der Ferne verjüngt. Dadurch entstanden zunächst fehlerhafte Darstellungen. Später sind sie durch einen Zufall daraufgekommen: Beim Verlassen des Ateliers haben sie die Bilder auf den Kopf gestellt, und als sie am nächsten Morgen mit ausgeschlafenen Augen die Werke betrachtet haben, passierte Folgendes: Das Bild, das auf dem Kopf steht, wird richtig auf die Netzhaut projiziert und in dem Moment sagt das Gehirn – Fehler. Weil es falsch reproduziert wurde und durch das falsche Reproduzieren setzt bewusstes Sehen ein und der Künstler hat erkannt, er muss es korrigieren. Er hat es aber wieder aus der Anschauung heraus korrigiert, was nie so exakt wurde, wie später bei Dürer, der die räumliche Perspektive in ein mathematisches Gesetz überführt hat. Das Prinzip der Wahrnehmung des menschlichen Gehirns gilt auch heute noch.
Aus der Erkenntnis heraus bestätigt sich, Kunsterfahrung verändert die Wahrnehmung und dann erklärt sich auch, warum Kunst politisch eingesetzt oder eben verboten wird.
Laurentiu Feller: Für mich ist das ein bisschen anders. Ein gutes Kunstwerk kann auch einfach emotional berühren, nicht nur vom Intellekt her. Am besten ist es, wenn beides miteinander interagiert.
Ich glaube, der erste Impuls, wenn man etwas sieht, ist, dass es einem gefällt. Etwas Intuitives zunächst, was man nicht erklären kann. Aber es gibt einen Grund dafür, warum es einen berührt, man kennt ihn nur noch nicht, im positiven wie negativen Sinne. Bei längerer Betrachtung oder wenn ich Informationen dazu bekommen, beginnt sich etwas zu verändern. Für mich ist Kunst in erster Linie Kommunikation zwischen dem Künstler und dem Betrachter, dem Galerist. Es muss auch einen Impuls von dem Kunstschaffenden geben, eine Antwort, warum das Bild so ist. Kunst fängt da an, wo Zufälligkeit aufhört. Sie muss etwas zu sagen haben.
Muss also eine Geschichte hinter dem Werk stehen?
Laurentiu Feller: Es muss keine Geschichte sein, aber eine Intention, ein Grund. Der Künstler muss dem Betrachter erklären können, was er damit beabsichtigt hat. Dann wird es kommuniziert, erklärt, und verstanden oder eben nicht verstanden, gefühlt oder eben nicht gefühlt. Aber es bedarf dieser Kommunikationsebene, um dahin zu kommen.
In jeder Epoche, zu jedem Zeitpunkt ist die Kunst auch die Antwort auf die aktuelle Gesellschaft. Sie wirft Fragen auf, setzt sich mit Materialien und Gegebenheiten der aktuellen Zeit auseinander. Es entsteht ein Diskurs. Das ist auch die Aufgabe, die Kunst hat. Lässt es hingegen jemanden kalt zurück, ohne Emotion ohne den Intellekt anzusprechen, dann ist es auch keine Kunst, dann ist es Dekoration. Nichts gegen dekorative Kunst. Kunst soll natürlich auch schön sein.
Die Frage ist, wie definiert man „schön“?
Klaus Bode: Furchen können auch als schön empfunden werden, das ist subjektiv. In jedem Kunstwerk sind zwei Qualitäten, die objektive und die subjektive. Die Objektive ist das Handwerk, ob ein Werk auch formal und technisch stimmig ist. Kunst kommt nicht von Können, aber Können ist ganz wichtig für die Kunst. Sie sollte die Vergangenheit und das Denken der Altvorderen berücksichtigen, auf deren Schultern sich der Künstler stellt. Von dem Punkt aus kann er in die Zukunft blicken.
Für die objektive Qualität sind wir als Galeristen auch in der Verantwortung. Wir wählen für unsere Kunden aus der Flut des Visuellen die gute Qualität aus. Unsere Kunden können sich darauf verlassen, dass wir den Markt vorselektiert haben, dass die Werke auch eine Tiefe haben. Das ist die Aufgabe eines Galeristen. Und dann kommt letztlich der Betrachter mit seiner subjektiven Meinung und entscheidet, ob es ihm gefällt.
Laurentiu Feller, Klaus Bode, Heike Aigner
Hat jede Galerie ihr eigenes Konzept? Nach welchen Kriterien wählen Sie Künstler oder Künstlerinnen aus?
Laurentiu Feller: Man geht natürlich auch subjektiv an die Sache ran, das ist klar, aber formell muss es natürlich stimmen. Für unsere Galerie gibt es ein Profil, aber wir weichen auch davon ab, wenn uns etwas begeistert. Es soll uns ja auch Spaß machen.
Klaus Bode: Ich habe kein Programm, mich muss ein Kunstwerk flashen. Zum Beispiel Dietrich Klinge, ein fränkischer Bildhauer, der auch international bekannt ist. Ich habe ihn fünf Jahre lang verfolgt, seine Werke haben mich immer stark berührt, aber ich bin immer ratlos von seinen Objekten weggegangen. Dann hatte ich eine Idee für eine Ausstellung. Zum Hintergrund: Es gibt eine Sache, mit der Dürer Schwierigkeiten hatte. Das ist die Proportionslehre. Klinge hatte an diesem Thema gearbeitet. Er erstellte in dem Zusammenhang monumentale Wandreliefs, zu einer Zeit, als er sich das kaum leisten konnte. Ich bekam einen Termin. Sechs Stunden war ich mit dem Künstler im Gespräch über ein Thema, das er 50 Jahre lang recherchiert und bearbeitet hatte. Ich beschäftigte mich damit gerade mal fünf Monate. Wir sind in seine Bibliothek gegangen und Klinge zog eine 500 Jahre alte historische Handschrift heraus, hat die entsprechende Seite aufgeschlagen und mir das Thema entschlüsselt. Ich war mehr als beeindruckt. Ab dem Moment war mir der Künstler heilig. Denn ich weiß, dass er alles berücksichtigt hat, was bis zu diesem Zeitpunkt in der Kunstgeschichte bekannt war. Und dann hat er von diesem Punkt aus weggearbeitet. Da bin ich fertig. Das macht das kongeniale Verhältnis zwischen Künstler und Galerist aus. Das kann man nicht mit allen Künstlern machen, man hat ja nur begrenzte Zeit. Es ist unheimlich schön, wenn man solche Künstler trifft.
Laurentiu Feller: Die Frage ist, wie schafft man es die Werke und gerade die Genialität von Klinge den Kunden nahezubringen?
Klaus Bode: Wir führen Künstler unterschiedlicher Positionen, gehen auf Messen und veranstalten auch viele Gemeinschaftsausstellungen. Dennoch ist es so, dass ein gutes Kunstwerk und ein schlechtes Kunstwerk nebeneinander nicht funktionieren. Wenn die objektive Qualität nicht stimmt, ist das unerträglich, das brüllt einen an. Solche Werke sind nicht arrangierbar. Unsere Bilder, die wir im Programm haben, gehen gut zusammen, die Qualität bewahrheitet sich immer ganz schnell an Bilderwänden.
Laurentiu Feller: Bei manchen Künstlern hat man viel zu erzählen, weil sie selbst viel von sich und Ihrem Werk erzählen, manche weniger, deshalb ist das Werk nicht schlechter. Man muss als Galerist von dem Werk überzeugt sein, sich viel Zeit nehmen und dahinterstehen, nur so kann man die Kunden auch davon begeistern. Die Auseinandersetzung mit einem Künstler dauert auch manchmal Jahre, daraus entstehen langjährig gepflegte Beziehungen.