„Musik verbindet uns“ – Im Interview mit Roland Böer

14. März 2024 | People

Schon als Kind waren Opernbesuche mit der musikalisch interessierten Familie für ihn selbstverständlich. Mit etwa zehn Jahren war er das erste Mal im „Parsifal”,  fand es wirr und wahnsinnig – und einfach toll. Das hat ihn geprägt. Auch heute ist für ihn der entscheidende Ansatz: Wie nimmt jemand ein Werk wahr, wenn er es das erste Mal in seinem Leben sieht und hört, egal ob Kind oder Erwachsener.
In der Position des Generalmusikdirektors eines Staatstheaters ist Kommunikations- und Organisationstalent gefragt. Neben aller Professionalität wird im Gespräch aber eines klar: hier ist ein Künstler, der für die Musik lebt, und es liebt, gemeinsam mit anderen zu musizieren und etwas zu schaffen.

Text: Anna Penzkofer Bilder: Ludwig Olah

Als Dirigent hat Roland Böer viele Jahre im In- und Ausland an führenden Häusern gearbeitet, Opernproduktionen geleitet und namhafte Orchester dirigiert. Er war von 2002 bis 2008 Kapellmeister an der Oper Frankfurt. Von 2009 bis 2020 war er erst musikalischer Leiter, dann auch künstlerischer Direktor des „Cantiere Internazionale d’Arte” in Montepulciano. Roland Böer ist seit Herbst 2023 Generalmusikdirektor des Staatstheaters Nürnberg und Chefdirigent der Staatsphilharmonie Nürnberg.
Wir sprachen mit ihm in seinem Büro im Opernhaus mit beeindruckendem Blick über die Nürnberger Südstadt.

Herr Böer, Sie kannten Nürnberg vor Ihrer jetzigen Position schon von einigen Gastauftritten.

Roland Böer: In Nürnberg habe ich 2019 mein Debüt gegeben, auf Einladung meiner Vorgängerin Joana Mallwitz, die mich für ein Philharmonisches Konzert engagiert hatte. Wir haben gleich festgestellt, dass das Orchester und ich uns sehr gut verstehen. Nach weiteren Konzerten hier ergab sich die Chance, für eine Opern-Neuproduktion einspringen zu können. So haben das Orchester und ich uns über einen längeren Probenprozess sehr gut kennenlernen können. Ich habe dabei auch schon einen guten Einblick in die einzelnen Mechanismen des Hauses bekommen.
Ich war dann überwältigt von der Initiative, die seitens des Orchesters, des Vorstandes, des Chores und des gesamten Ensembles ergriffen wurde, sich für mich einzusetzen und mich zu unterstützen, hier eine leitende Funktion zu übernehmen. Darüber habe ich mich sehr gefreut, und insgeheim hatte ich mich nach vielen Jahren meiner freiberuflichen Tätigkeit im In- und Ausland – verbunden mit vielen Reisen – nach einer Möglichkeit gesehnt, ein Zuhause zu finden, im wahrsten und übertragenen Sinne. Und so hat sich alles zu meiner großen Freude auf ganz natürliche Weise ergeben.

„Wir sollten nie vergessen, worum es uns eigentlich geht, und wofür wir das tun …“

 

 

Sprechen wir über Ihre Ausbildung: Sie wurden früh ermutigt Dirigieren zu studieren. Was glauben Sie, war es, was Ihre Lehrer in Ihnen gesehen haben? Oder anders gefragt, welche Fähigkeiten muss ein Dirigent haben?

Roland Böer: Ich hatte im Alter von 15, 16 Jahren ein Stück für unser Schulorchester geschrieben und bekam durch meine damaligen Musiklehrer die Chance, dieses Stück selbst einzustudieren. Das war sehr lustig, weil ich bis dahin überhaupt keinen Dirigierunterricht hatte. Aber aus meiner Erfahrung als Cellist in diesem Schulorchester habe ich mir das zugetraut und es hat wunderbar funktioniert. Es war für mich immer eine besondere Freude, mit anderen Musikern zusammen zu sein, und nicht nur allein am Klavier zu sitzen. Daraus hat sich die Leidenschaft für das Dirigieren entwickelt. Ich habe in Würzburg Dirigieren studiert. Mein Lehrer Günther Wich hat uns Studenten klar gemacht, dass es vor allem auf charakterliche und menschliche Werte ankommt. Dass Eitelkeit fehl am Platz ist und ein Dirigent nur ernst genommen wird, wenn er selbst absolut bei der Sache ist. Er hat uns so eine Art von natürlicher Autorität vermittelt, als Grundvoraussetzung von allem. Man muss sich klarmachen, da sitzen hochprofessionell ausgebildete Musiker vor einem, mit viel größerer Erfahrung, als ein junger Dirigent sie hat. Ihnen kann man nichts vormachen, da muss man schon sehr genau wissen, was man will und was die Musik uns sagen möchte.
Wenn Sie von Ermutigung sprechen, das zieht sich tatsächlich wie ein roter Faden durch mein Leben. Glücklicherweise habe ich schon in meinem Elternhaus, aber auch später durch Lehrer oder bei Dirigenten, bei denen ich assistiert habe, sehr viel moralische Unterstützung erfahren, so dass ich über den Vertrauensvorschuss und dieses „du schaffst das schon“ einfach wachsen konnte. Letzten Endes durfte ich in der Atmosphäre eines geschützten Raumes lernen, auch mal Fehler zu machen – und das muss man ja, um zu reifen.

Versuchen Sie, aus dieser Erfahrung heraus auch selber junge Musiker zu ermutigen?

Roland Böer: Das versuche ich grundsätzlich auf jeder Ebene. Ob das die zwischenmenschliche oder organisatorische Ebene im Opernhaus ist, ob in der Kommunikation oder meiner künstlerischen Arbeit, ich versuche genau das vorzuleben und auch weiterzugeben. Für mich ist eine Probe eine Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum, der nicht der Zensur oder der Kritik unterliegt, frei ausprobieren zu dürfen. Das ist mir ein ganz großes Anliegen. Und auch, wenn man einen Schritt weiterdenkt: Wenn wir auf die Bühne gehen, in die Öffentlichkeit, ins Rampenlicht, setzen wir uns einem großen Erwartungsdruck und ganz bewusst der öffentlichen Kritik aus. Dennoch glaube ich, dass wir selbst auf der Bühne mal einen Fehler machen dürfen.
Wir sollten uns auf der Bühne so frei fühlen können, dass wir in diesem Raum der Angstfreiheit und der Möglichkeit Risiken einzugehen, alles wagen dürfen, und so am Ende dann doch kein Fehler passiert. Aus einem Gefühl des vergnügten, lustvollen und sinnvollen Tuns entsteht ein Flow, der uns beflügelt, und uns über uns selbst hinauswachsen lässt. Im Übrigen glaube ich, dass wir in unserem Publikum, sowohl im Opernhaus als auch im Konzert sehr wohlwollende und warmherzige Besucher haben, die oft eine sehr viel mildere, um nicht zu sagen sogar oft enthusiastischere Meinung zu bestimmten Dingen haben, als wir das vielleicht ab und zu nachlesen können.

Staatsphilharmonie Nürnberg, Roland Böer | Kulturmagazin für Nürnberg und die Metropolregion
Exkursionskonzert Staatsphilharmonie Nürnberg, Roland Böer | Kulturmagazin für Nürnberg und die Metropolregion

Sie waren viele Jahre musikalischer und künstlerischer Leiter des „Cantiere Internazionale d’Arte“, der sogenannten „Internationalen Kunstwerkstatt“ in Montepulciano. Prägt das auch Ihre Arbeit hier?

Roland Böer: Als Leiter des „Cantiere“ habe ich eine Vielzahl an Projekten selbst erdacht, entwickelt und in die Wege geleitet. Ich muss sagen, dass mir das wahnsinnig Spaß gemacht hat, vor allem die Programmentwicklung und -gestaltung. Das ist etwas, das mir hier in Nürnberg auch sehr zugute kommt: vernetzt zu denken, spielerische Bezüge herzustellen und thematisch und inhaltlich bezogene Programme zu entwickeln. Programme, die auch eine ganze Spielzeit überspannen können. Das habe ich dort gelernt und ausprobieren dürfen. Auch alles, was das Organisatorische anbelangt, ist mir dort in Fleisch und Blut übergegangen, und ich kann sehen, dass sich das hier in den Grundzügen fortsetzt, wenn auch auf wesentlich komplexerem und professionellerem Niveau. Von den Prozessen her und vor allem der Notwendigkeit der Kommunikation ist das hier ganz vergleichbar. Es gibt etwas, was das „Cantiere“ auszeichnet: Die Idee ist ja, dass bei der Zusammenarbeit von Laien und „noch-nicht-Profis“ mit international renommierten Künstlern jeder von jedem etwas lernen kann. Es werden dort keine Gagen gezahlt, man arbeitet um der Sache selbst willen und für Kost und Logis. Es gibt dort einen unbeschreiblichen Geist der Solidarität, des füreinander Einstehens und Helfens. Das ist eine Qualität, die ich in meinem Herzen bewahre und auch hierher getragen habe. Natürlich müssen wir alle unseren Lebensunterhalt verdienen, aber wir sollten nie vergessen, worum es uns eigentlich geht, und wofür wir das tun. Der unglaubliche Enthusiasmus und die Bereitschaft, alles zu geben und zu teilen, das sind Werte, die ich mitgenommen habe, und die mir auch hier besonders wichtig sind.

„Dieses Gefühl möchte ich den Menschen geben,
dass es eigentlich niemanden auf der Welt gibt, der unmusikalisch ist …“

 

 

Hören Sie zuhause für sich privat auch noch Musik?

Roland Böer: Privat oder nicht privat, das lässt sich für mich gar nicht so trennen. Meine Frau ist Geigerin, mein Sohn studiert Cello, meine Tochter spielt Klavier, wir musizieren sehr viel. Da wird geübt, da wird gefeilt, wir hören einander zu. Wenn ich nach einer intensiven Probenzeit nach Hause komme, bin ich ehrlich gesagt manchmal froh, wenn ich nichts höre, die Stille genieße und wir nur reden und uns austauschen. Oder wenn ich einfach früh die Vögel durchs Fenster höre, das ist die schönste Musik überhaupt. Ich brauche viel Ruhe, Stille und Zeit, um der Musik, die ich vorhabe zu spielen, oder die gespielt wurde, einen Raum zum Vorschwingen oder Nachklingen zu geben.

Sie führen die Reihe der beliebten Expeditionskonzerte, in denen ein Werk im Detail erklärt wird, als Exkursionskonzerte fort.
Ist Ihnen das auch ein Anliegen, Musik zu erklären?

Roland Böer: Mir macht das wahnsinnig Spaß. Das Kommunizieren mit unserem Publikum an sich ist mir immer eine Freude. Natürlich könnte man sagen, dass Musik die einzige Sprache ist, die man überall versteht. Dennoch ist es so: je mehr man über ein bestimmtes Stück weiß, desto besser kann man zuhören und es genießen. Mir geht es um eine interessante Mischung von geschichtlichem Kontext, dem persönlichen Umfeld des Komponisten, vielleicht auch Anekdotischem und Querverbindungen zu anderen Werken, die das Ohr öffnen und lenken. Ich lasse manchmal Instrumente des Orchesters einzeln spielen, so dass man die Chance hat, sie ganz klar zu hören, um anschließend alles wieder zusammenzusetzen. Das sind, glaube ich, schon Aha-Erlebnisse, selbst für Menschen, die vielleicht gar nicht so eine große musikalische Vorbildung haben.
Dieses Gefühl möchte ich den Menschen geben, dass es eigentlich niemanden auf der Welt gibt, der unmusikalisch ist, oder dem der Zugang zu diesen Wundern verwehrt bleiben sollte.

Sie kümmern sich auch selbst um die „Junge Staatsphilharmonie“, dem Jugendorchester. Warum ist Ihnen das wichtig?

Roland Böer: Das liegt an meiner eigenen Erfahrung als Schüler und Cellist im Schulorchester. Das sind unvergessliche Erlebnisse, die mich sehr geprägt haben. Heute gehe ich in eine Probe mit der Jungen Staatsphilharmonie und fühle mich um 30 Jahre jünger. Die Zusammenarbeit mit Jugend- und Studentenorchestern zieht sich wie ein roter Faden durch mein berufliches Leben. Ich habe für die Junge Staatsphilharmonie erneut ein abendfüllendes Programm zusammengestellt aus Stücken, die junge Menschen begeistern, sie durchaus fordern, aber nie überfordern.

Sie werden in dieser Spielzeit in der Reihe „Dreiklang“ Konzerte im Zukunftsmuseum, im Germanischen Nationalmuseum und in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche geben. Was hat Sie dazu bewogen?

Roland Böer: Wir möchten ein Zeichen setzen, dem Publikum und der Stadt gegenüber: Die Staatsphilharmonie bewegt sich aus ihrer Komfortzone heraus in die Stadt hinein.
Der Name „Dreiklang“ ist dabei mehrfach deutbar. Wir wollen pro Spielzeit drei neue Spielstätten erkunden und wählen dafür bewusst ganz unterschiedliche Orte und Gegebenheiten aus. Die Gustav-Adolf-Gedächtniskirche zum Beispiel, diesen wunderbaren Raum mit Balkonen und Emporen. Wir entwickeln jeweils ein Programm, das perfekt zum jeweiligen Ort passt und wir laden ein, diesen Raum neu zu erleben. Im Zukunftsmuseum werden wir uns zum Beispiel mit dem Thema „Metaversum“ beschäftigen.

Ein kommendes Konzert-Highlight wird Gustav Mahlers „Auferstehungssymphonie” sein, bei welcher Sie in ganz großer Besetzung auftreten.
Können Sie uns kurz die Faszination dieses Werkes erläutern?

Roland Böer: Ich liebe es, mit vielen Menschen zu musizieren. Dieses Projekt liegt mir schon deshalb am Herzen, weil wir es schaffen, mit der Staatsphilharmonie, mit dem Ensemble, also den Solistinnen, unserem Opernchor und drei städtischen Chören ein Zeichen zu setzen: wir machen zusammen Musik. Wir werden mit 160 Damen und Herren im Chor auftreten und die Bühne wird bis auf den letzten Quadratmeter voll sein. Dieses Zeichen zu setzen, war für mich schon zu Beginn meiner planerischen Arbeit ein wesentliches Anliegen, weil es ein Erlebnis sein wird, das weit über das musikalische hinausgeht und zwischenmenschliche Dimensionen berührt. Das ist gerade in unserer Zeit unwahrscheinlich wichtig, sich zu vereinen zu einem großen gemeinsamen Ziel.
„Bereite dich zu leben“ ist ein Zitat aus Mahlers „Auferstehungsymphonie“, das zu unserem Spielzeitmotto wurde. Wir wollen gemeinsam aufstehen, gegen Angst und Angstmacherei, wir wollen aufstehen für die Freiheit der Kunst, für die Freiheit der Meinungsäußerung, für die Freiheit unserer Ideale in Zeiten der Verunsicherung.

Sie werden diesen Sommer zum ersten Mal ein Klassik Open Air im Luitpoldhain dirigieren. Sind Sie schon mal vor so einem großen Publikum mit bis zu 70.000 Zuhörern gestanden?

Ich habe tatsächlich noch nie vor so einem großen Publikum dirigiert und mir ist bewusst, dass es zu den größten Klassik Events unter freiem Himmel zählt.
Das Klassik Open Air ist für die Staatsphilharmonie Nürnberg die Gelegenheit, unserer Stadtbevölkerung etwas zurückzugeben. Was mich fasziniert ist, dass hier auch Menschen in den Genuss von klassischer Musik kommen, die sonst nicht in die Oper oder in ein Konzert gehen würden. Ich freue mich jedenfalls schon riesig darauf.

Meet the Artist: Staatstheater Nürnberg
Video: David Klumpp, Wiebke Hetmanek | Creative Commons BY-SA

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