Wacholder am Kraterrand

4. November 2019 | Life

Aus keiner Cocktailbar mehr wegzudenken, vom billigen Fusel bis zum hochwertig destillierten Genussgarant: Gin hat nicht nur eine bewegte Geschichte hinter sich, sondern bewegt nun seit über zehn Jahren die Gemüter.
Text: Tibor Baumann

Am Rande des Meteoritenkraters im bayerischen Ries, ist im grün-nadeligen Gehölz eine Familie unterwegs. Von den teilweise hoch wachsenden, dichten Büschen sammeln sie die dunkelblauen Früchte: die Wacholderbeeren. Die Familie Scheible sammelt in harter Handarbeit die Grundlage für den Gin, den sie als Familienunternehmen herstellen, der Krater Noster – Bavarian Dry Gin.

Trend nicht aufzuhalten

Der mittlerweile seit zehn Jahren andauernde Gin-Trend, scheint nicht abzureißen und schlägt nach wie vor, wie der Meteor hier vor einigen Millionen Jahren, kräftig ein. Die bewegte Geschichte des Gins ist dabei nicht nur positiv. Nach der Erfindung durch die Holländer im Mittelalter wurde er aus Verbrüderungsgründen gegen die spanische Krone, während des Achtzigjährigen Krieges (1568 – 1648) nach Britannien exportiert. Als 1769 die Gordon Co. Gin herstellt, war es mit der Qualität nicht so weit her – billig und stark war die Prämisse. Es entwickelte sich ein so flächendeckender Dauerkonsum des Hochprozentigen, dass das Land im Würgegriff einer regelrechten Gin-Epidemie war – der man mit Steuern und Schanklizenzen wieder Herr werden musste.

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Bild: Eda Zeh Calisti/Scheible Bräu & Spirituosen GmbH
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Bild: Eda Zeh Calisti/Scheible Bräu & Spirituosen GmbH

Lange Tradition

Davon sind wir heute weit entfernt. Und die Familie Scheible produziert weder billig noch auf Massenware ausgelegt. Die seit 1621 im Brauwesen tätige Familie sieht auf eine lange Tradition zurück, die sie 2000 dazu zwingt, sich neu zu erfinden. Der Braubetrieb wird in einigen Teilen eingestellt, aber die Räume möchte man nicht nur erhalten, sondern auch nutzen. Mit dem Kräuterlikör der Oma ist der erste Schritt getan, den Anstoß geben wird: man möchte einen Gin destillieren. Dr. Scheible, der praktizierender Allgemeinmediziner ist, seine Frau und seine beiden Töchter setzen den Krater Noster seit 2015 mit großer Liebe, Sorgfalt und preisgekrönt um. Ihr Gin gewann unter anderem 2018 und 2019 in Folge den „World Spirits Award“ mit Gold und Double Gold. Vielleicht ist dieser Erfolg auch den Strukturen zuzuschreiben. Das von Hand ernten, die Töchter, die auch die Website, Shop und Bilder selbst gestalten; Krater Spirits ist ein Familienunternehmen, das aus Tradition und Sinnstiftung für die geerbten Räume fortgeführt wird und so zur Familienunternehmung wird. Das trägt auch zur Wirkung bei.

Wirkung ist natürlich gerade einem Mediziner klar. Für ihn steht ein bewusster Umgang im Zentrum, nur so kann der für ihn wichtige und über Generationen weitergegebene Genuss entstehen. Dazu gehört für ihn auch die Altersbeschränkung und die Aufklärung über Alkohol. Trotzdem sieht er die Verantwortung klar beim Konsumenten.

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Bild: Scheible Bräu & Spirituosen GmbH

Gin-Trend reißt nicht ab

Wirkungsvoll ist übrigens die Ginwelle nach wie vor. Derzeit werden weltweit ca. 6000 Gins hergestellt. Laut Omoxx lag das Umsatzwachstum von 2016 auf 2017 in absoluten Zahlen bei 27 Millionen Euro. Ein Anstieg der nicht nur deutschlandspezifisch, sondern durchaus im gesamten Westen zu verzeichnen ist.

Ganz vorne exportiert natürlich das United Kingdom das „Nationalgetränk“ nach Deutschland. Was der wie auch immer geartete Brexit mit diesen Zahlen macht, lässt sich nur vermuten. Auch wenn schon mal eine Lieferung bis nach Kanada ging und man im europäischen Ausland durchaus Vertrieb hat, ist durch die aufwändige Besteuerung von Hochprozentigem der internationale Markt für den Familienbetrieb nicht maßgeblich. Interessant aber, dass trotzdem sowohl via Webshop, als auch klassisch in Zusammenarbeit mit Klein- und Großhändlern gearbeitet wird. Auf den einschlägigen Messen kann man der Familie so durchaus begegnen, die freundlich und offenherzig die Menschen und ihren Krater Noster für sich sprechen lassen.

Perfektion als Anspruch

Für die Zukunft arbeitet die Familie bereits an neuen Produkten. Das wird seine Zeit brauchen, um in diesen Rahmenbedingungen die gleiche Perfektion zu erreichen. Auch möchte man die Räume weiter nutzen und die Pläne für Führungen und Tastings werden am Familientisch diskutiert. Trend ist dabei nicht mal ein Nebenthema. Für den traditionellen Ertrag des Krater Noster ist der Trend aber vielleicht am Ende unerheblicher, als man vermuten möchte. Der ehrliche Gin der Familie Scheible ist darauf ausgelegt, die Wacholdernote führend zu halten und sanft in Aromenkombination zu setzen. Qualität liegt hier in der direkt erfahrbaren Schlichtheit des liebevoll hergestellten Produkts. Und im Spezialwissen – und das ist es ja letztlich, das die Trends für eine hippe Rückbesinnung wiederum ausmacht.

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