Zwischen Stadtflucht und Landliebe, edle Momente und
Mythen harter Hunde: Sternekoch Alexander Herrmann. In der gehobenen Gastronomie wird Essen der Nahrung enthoben. Ob abgehoben
oder schlicht dem Genuss verpflichtet, bleibt im Auge des Betrachters.
Text: Tibor Baumann Bilder: Grischa Jäger
Die gastronomischen Unternehmungen des Herrmann’schen Teams sind zahlreich. Kochkurse und Fernsehshows, Catering und Ausbildung. Die Eventgastronomie im Palazzo. Das mit zwei Sternen ausgezeichnete Post-Hotel Alexander Herrmann in Wirsberg, dass die Übernachtung mit der Edelgastronomie verbindet und gleichzeitig eine Kochschule beherbergt. Im Herzen von Nürnberg das Fränk’ness, mit dem die fränkische Küche dem gehobenen Streetfood zugeführt wird; darüber thront im zweiten Stock, im ruhigen Understatement des Edlen, das Imperial. Hier treffen wir uns.
Gastgeber und Herr der Situation
Vor 18 Uhr ist es im Imperial noch geruhsam, nur im Hintergrund arbeiten, leise und präzise, die ersten Angestellten, um das Restaurant auf den Abend vorzubereiten. Durch den hinteren Bereich kann ich den Chef auf und ab tigern sehen, telefonierend. Dann kommt er nach vorne: Alexander Herrmann ist groß, fester Händedruck; hat sofort ein Lächeln und einen Witz parat. „Wurdest du schon versorgt?“, lautet seine Begrüßung. „Fragen will ich nie vorher sehen, dann ist es nicht spontan. Es wird sich dann schon zeigen, ob das kluge Fragen sind.“, fügt er augenzwinkernd an. Gastgeber und Herr der Situation in einem. An seinem rechten Arm ist mit blauer Tinte das Wort „Ever“ tätowiert.
Ein Mann, der genau weiß, was er will und es für gewöhnlich auch bekommt. Herrmann ist eine Persönlichkeit die spaltet. Schon mit seinen ersten Kochshows Mitte der 90er, machte er sich Feinde in der eigenen Branche. Der einer traditionsreichen Hotelierfamilie entstammende Herrmann verliert früh die Eltern, macht in München und Belgien seine Ausbildung, lernt also von der Pike auf. Seine Liebe zum Film, seine Medienaffinität, hält sich – er dreht derzeit z.B. die Koch-Contest-Show „The Taste“ und leiht seine Stimme einer Comic-Figur in „Rise of the Teenage Mutant Ninja Turtles“ – und zieht sich als roter Faden durch seine Arbeit.
Auf die Frage, was für eine Art Film sein Leben wäre, antwortet Herrmann nach kurzer Überlegung überzeugt und ernst: „Ein Drama. Die persönlichen Dinge, die ich erlebt habe reichen für drei Leben. Die Fallhöhe, zwischen beruflichen Erfolgen und persönlicher Reise, die wird mit der Länge des Films immer höher – und ich weiß noch nicht wie der Film ausgeht.“ Das deckt sich natürlich auch mit den Neidern, die es in solchen Segmenten immer gibt; und mit den Zweiflern, die nach dem zweiten Stern unken, man müsse den erst einmal halten. „Ich verstehe diese Aussage nicht. Das wäre, als würde ich bei Olympia antreten und sagen: na, lieber nur Bronze, sonst kann ich das nicht halten.“ Und, dass Herrmann für Gold antritt, ist klar.
Erfolgsfaktor Konsequenz
Der Unternehmer verbindet gastronomische Betriebe geschickt durch seine eigene Medienpräsenz, aber auch durch das Leitbild, mit dem er immer darauf verweist, das „Einfache“ mit dem „Gehobenen“ zu verbinden. Das setzt er auch konsequent in all seinen Angeboten um. Und in dem, wie er selbst auftritt und sein Team zusammenstellt. Der Koch ist mindestens ebenso wichtig, wie das Gericht selbst.
Dass Herrmann in Wirsberg auch ausbildet, ist dabei nur folgerichtig und zeigt seine Haltung auch gegenüber dem Ruf der Branche, nur harte Arbeit für wenig Geld hervorzubringen. Für ihn steht, „wie beim Schauspieler“, der Applaus, die Anerkennung und der Teamspirit mit auf dem Gehaltszettel. Die Leistung versteht er als Ansporn, als etwas, das sowieso alle in ihrem Beruf erbringen müssen – so eben auch der Koch. Dass man für die spezielle Form von Druck und Arbeit gemacht sein muss, ist hier nicht Thema.
Faire Löhne dagegen stehen für Herrmann dabei nicht zur Debatte und sind Teil seines Erfolgsrezepts: glückliche Mitarbeiter sind Lächelnde, das stützt das Gesamterlebnis. Ein Gesamterlebnis, das Herrmann klar skizzieren kann und in größerem Kontext sieht: „Eine Stadt ist als solches brutal hektisch – alles dringt auf dich ein. Das Restaurant in der Großstadt ist der Moment, in dem du abgeschirmt, geschützt wirst, von dem einnehmenden Wesen der Großstadt. Aber fährst du nach Wirsberg, dann beginnt die Entspannung schon während der Fahrt; die Leute sind offen, wenn sie zu uns kommen.“ Das Imperial ist darauf ausgelegt, eine Clubatmosphäre zu schaffen. Die weichen Polster und lederbezogenen Tische laden dazu ein, sich fallen zu lassen, den obersten Hemdknopf zu öffnen, zu genießen – der Raum will nichts von dir.
Emotionen schaffen
Dagegen wird im Fränk’ness das Streetfood, die Stadt, die Straße mit aufgenommen: schön geschwungene Sätze der Künstlerin Hannah Rabenstein, verschiedene farblich gestaltete Sitzkabinen, detailfreudige Dekoration zwischen schlichtem Herrgottswinkel und kitschiger Wandmalerei. Dagegen wird der Abend im Post-Hotel mehr zum Gesamterlebnis, zum Urlaub in weiß gedeckter Perfektion, das mit einem „gastronomischen Abenteuer“ für sich wirbt. „Auf dem Land bist du verspielt, in der Stadt bist du klar.“, resümiert Herrmann mit unterstreichendem Zeigefinger.
Und diese Aspekte inszeniert Herrmann vor dem Hintergrund der Entwicklungen: „Das, was auf dem Teller passiert, ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaft.“ In den 70er Jahren war es die Nouvelle Cousine, es folgte die Mediterrane Welle. Herrmann sieht die Crossover-Welle, die alle Küchen miteinander verbindet und die neue Aufmerksamkeit für die eigene Küche. Dies ist ein „Befreiungsschlag für die heimische Küche. Plötzlich war eine Forelle oder der Saibling dem Steinbutt gegenüber auf Augenhöhe, unser Brot, Käsesorten und Würste wieder im Trend.“ Hier zeigt sich auch, dass Hermann klar mit dem Heimat-Begriff auf seinem Teller spielt und sich in einer Tradition sieht, aus der er stammt.
Der Spagat zwischen Hip und konservativer Haltung ist sowohl Teil des Erfolges, als auch Teil Hermanns Lebensrealität, die natürlich ein ganz bestimmtes Klientel anspricht, dass sich dieses gastronomische Erlebnis leisten kann und will.
Alexander Hermann ist eine Art Regisseur geworden – und nicht Special-Force-Kämpfer, wie er es wegen des Films „Rambo“ ursprünglich wollte. Er ist ein Handwerker, der sich als Meister auszeichnet, indem er nicht nur mit dem Werkzeug, sondern über das Werkzeug denkt und auf Wirkung basierend entscheidet. Wirkung auf einer tieferen Ebene: „Der Gast entscheidet ganz selten mit dem Kopf, sondern meistens mit dem Bauch. Deswegen musst du ihn auch in seiner Seele, seinem Herzen und in seiner Erwartungshaltung erwischen.“