Was Zuhause Schule macht

10. Juni 2020 | Life

Bildung ist weniger angesammeltes Wissen, als die Fähigkeit, auf dessen Basis Lösungen
für neue Problemstellungen zu finden. Das Jenaplan Gymnasium in Nürnberg hat sich eines Problems
angenommen und dabei nebenbei erfolgreich gezeigt was ihr pädagogischer Ansatz zu
erreichen vermag.
Text: Tibor Baumann
Was mittlerweile überall „Homeschooling“ genannt wird, ist weder neu noch wirklich trennscharf. Das Unterrichten zu Hause, hat vielerlei verschiedene Ausformungen. Von privaten Lehrern, bis Unterricht durch die Eltern, kann der „Heimunterricht“ die verschiedensten Formen annehmen. Hierzulande durch die Schulpflicht untersagt, können auch die Gründe unterschiedlichster Natur sein: Kein Geld für Bildung, schwache Infrastruktur oder Eliten – die Geschichte zeigt, wie vielschichtig die Umstände sein können. Das Ablehnen des herrschenden Erziehungssystems – denn abseits des Inhalts, ist Schule ja auch formprägend – gibt es auch als Grund, das nennt man dann allerdings „Unschooling“ und ist in seiner Grundlage oft eher fragwürdig. Die momentanen Gründe für den Diskurs rund um den heimischen Unterricht, das Homeschooling, sind allen bekannt. Und die vielen Problematiken damit auch.

Verschleppte Digitalisierung

Die meisten Meldungen unterstützen die Unkenrufe der Pessimisten, dass das nicht funktionieren kann. Was sollte man auch erwarten, wenn einerseits Digitalisierung mit einer Verschleppung von einem gefühlten Jahrzehnt in den meisten Lehr- und Erziehungsanstalten umgesetzt wird und andererseits die Schulreformen Lehrer wie Schüler an den Rand der pädagogischen Machbarkeit bringt? Man kann einiges erwarten – aber ja, auch gutes! Das Gute passiert, wenn sich des Problems angenommen wird. Das spezielle Problem des Homeschoolings in der Krise lässt sich dementsprechend simpel auf den Punkt bringen, da es fortsetzt, was vielerorts im Bildungswesen als Problem diagnostiziert wird: Überforderung. Diese Erfahrung hat auch das Jenaplan Gymnasium in Nürnberg gemacht.

Lösungsansätze

Das Jenaplan Gymnasium folgt den pädagogischen Ansätzen, deren Ursprünge in der Erziehungswissenschaftlichen Universität in Jena in den 1920ern liegen. Über die Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg wurde der Ansatz weiter entwickelt. Die heutigen pädagogischen Maßgaben vom Jenaplan sind stark 
geprägt durch die Arbeit des niederländischen Pädagogen Kees Both. Der Holländer entwickelt vor dem Hintergrund der regionalen und nationalen Aufgabenstellungen das Lehr- und Erziehungskonzept weiter, stellt aber gleichzeitig auch klar, dass die Regeln des Jenaplan nicht dogmatisiert, sondern als sich der Lebensrealität anpassbare Regeln verstanden werden müssen. Für die Niederlande wurde so Jenaplan zur Grundlage des Schulsystems in den 1970ern. Und ist damit nur eine Art der Umsetzung der Jenaplan-Pädagogik.

Individuelle Pädagogik

Jenaplan ist ein individueller, reformpädagogischer Ansatz, der stark gesellschaftlich ausgerichtet ist. Die Idee von Jenaplan beinhaltet außerdem kooperatives Lernen abseits von strikten Einheitsnormen. Kompetenzen, die sogenannten Softskills, sind ebenso wichtig, wie der inhaltliche Lehrplan. Schülerinnen und Schüler planen ihre Woche und sind nicht an 45 Minuten Einheitsunterricht gebunden. Das Lernen, die Lehrer, der gesamte Schulraum wird zu einem Gemeinschaftsmodell. Die Gesellschaft für Jenaplanpädagogik listet derzeit achtundsechzig „Jenaplannah- oder Jenaplanschulen“ in Deutschland, darunter auch die „echten“, also jene, die sich auch so bezeichnen.

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Bild: ilyaliren/istock.com

Lösungen für die Zukunft

Das Jenaplan Gymnasium in Nürnberg Schniegling ist eines von zweien in Bayern und gründet sich 2010 aus einer Elterninitiative heraus. Auf der Website der Schule wird sofort klar, wie Lernen und Pädagogik verstanden wird: die Welt ist komplex geworden und wir brauchen Lösungen für die Zukunft – eine Zukunft, mit der die heutigen Kinder umgehen werden müssen.

Den Erwachsenen fällt die Aufgabe zu, die richtigen Werkzeuge und nicht nur die, die wir eben tradiert bekommen haben, zu vermitteln. Dabei liegt der Fokus des Gymnasiums qua Eigendefinition auf Sozial- und Wirtschaftswissenschaft. Die Schule trifft natürlich der Lockdown wie alle anderen Lehrinstitutionen. Nachdem klar stand, dass die Schulen erst einmal ihre Türen schließen müssen war natürlich auch hier die Reaktion, die Kinder und Jugendlichen möglichst „on track“ zu halten. Das Homeoffice für Schülerinnen und Schüler bedeutet auch für die des Jenaplan Gymnasiums, mit Aufgaben und Inhalten relativ strukturlos überhäuft zu werden. Zum Vorteil wurde hier, dass die Eltern direktes Feedback geben konnten und die Pädagoginnen und Pädagogen dem offensichtlichen Handlunsgbedarf nachkamen: Die Kinder konnten allein keinen Lehralltag strukturieren, es fehlten die Gruppen, aber eben auch die Lehr- und Coachkörper. Gleichzeitig waren die Eltern im Homeoffice nicht dazu in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.

Anstoß für digitalen Unterricht

Den Anstoß für die Lösung gaben hier tatsächlich die Schülerinnen und Schüler, die auf die technischen Möglichkeiten verwiesen. Die Medienkompetenz der Jugendlichen half den Erwachsenen. Dass die Lehrerinnen und Lehrer diesen Impuls wahrnahmen und tatsächlich innerhalb einer Woche umsetzten, ist genau jene Leistung, die im Eigenverständnis der Jenaplan liegt: Hilfe zum Werkzeug.

Alle Beteiligte machen gute Erfahrungen mit dem digital geführten Unterricht. Es wird sich mittels Videokonferenz zum Unterricht getroffen, gemeinsam am Stoff gearbeitet. Dabei wird die Arbeit der Kinder und Jugendlichen nun auch auf dem digitalen Weg verarbeitet: geschrieben und beantwortet wird auch auf dem PC. So kann sowohl der gemeinsame Wochenplan entstehen, als auch Unterricht und Coachgruppen aufrechterhalten werden. Viele Aktivitäten draußen, gemeinsames Musizieren oder künstlerische Inhalte werden natürlich schwierig.

Online-Unterricht keine Dauerlösung

Das verweist natürlich darauf, dass die digitale Begegnung keine Dauerlösung, kein Ersatz für die gemeinsamen Erfahrungen und den Austausch ist. Aber aus dem Erfolg im gemeinsamen Ausprobieren und Wege finden, liegt vielleicht ebenso viel Lernpotenzial wie im Unterricht selbst.

Natürlich darf nicht vergessen werden, dass in der reformpädagogischen Schule ein ganz anderer Spielraum für Experimente und ganz allgemein auch schon für den Umgang mit der digitalisierten Welt gegeben ist. Um so großartiger, dass das Jenaplan Gymnasium Nürnberg seine Erfahrungen digital teilt und somit auch für andere Schulen auswertbar und – noch viel wichtiger – nachahmbar macht. Es gilt nicht der Konkurrenzkampf, sondern der Erfahrungswert für alle und Lösungen für alle. Und das ist in jedem Fall eine Lehre, die auf die Zukunft vorbereiten kann.

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