Text: Tibor Baumann
Maly setzt sich entspannt auf das tiefe Ledersofa, rückt das Jackett leger zurecht, entspannt, freundlich, aufmerksamer Blick. Für unser Gespräch macht er auf dem Weg vom Rathaus nach Hause einen Halt auf einen Espresso in der Herrengarage in Nürnberg.
In kaum einem anderen Bereich wie der Berufspolitik stehen sich Arbeit und Leben so gegenüber; nicht unvereinbar, aber doch in ständig forderndem Balanceakt, Work-Life-Balance eben: „Über weite Strecken bedeutet es sieben Tage die Woche am Ball zu bleiben, bis zu 80 Stunden, Termine, Veranstaltungen – du arbeitest nicht immer, aber du bist immer im Dienst. Große Themenvielfalt und immer neue Herausforderung machen diesen Beruf so schön. Aber am Ende ist es auch glückliche Fügung, dass der Körper das aushält.“
Und damit beginnen wir: mit dem Ende. Nach 18 Jahren als Nürnbergs Oberbürgermeister stellt sich Ulrich Maly nicht mehr zur Wahl. Er hat sich dafür entschlossen, nicht abgewählt zu werden, von allen für zu alt oder für zu lange im Amt gesehen zu werden. Aber der Grund für ein Ende, wie eben auch die Entscheidung für eine Karriere, ist komplexer als das. Leben und Arbeit bedingen sich gegenseitig:
Von früher Kindheit an bei der sozialistischen Jugendbewegung „Die Falken“ prägt das politische Denken das Leben von Ulrich Maly, der in Nürnberg-Schweinau zur Welt kommt. 1984 tritt er der SPD bei. Er studiert an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen Volkswirtschaftslehre ohne große Eile. „Damals sagte meine Mutter immer: Kind, aus dir wird nichts“, erinnert sich Maly.
1990 promoviert er, von heute aus betrachtet passend, zu „Wirtschaft und Umwelt in der Städteentwicklungspolitik“. Als seine Arbeit als Geschäftsführer der SPD Stadtratsfraktion beginnt, ist und wird sein Leben auf einen stark in der Verantwortung stehenden Posten mit hoher Stundenzahl, angelegt. „Das war auch kein Job, den man nebenher mit 40 Stunden erledigt“, so Maly, „aber meine Karriere hatte keinen Startschuss. Es waren Zufälle die zu den Windows of Opportunities geführt haben.“
1995 tritt der damalige Kämmerer aus privaten Gründen frühzeitig zurück und Ulrich Maly wird durch die Rot-Grüne Mehrheit in das Amt gewählt. Eine Mehrheit die im März 1996 verloren geht.
2001 wird der damals mit 41 Jahren relativ junge, von einer die Wahl verloren glaubenden SPD als Zählkandidat in den Wahlkampf geschickt. Aber Maly gewinnt die Wahl. Und die darauf folgenden. Maly macht unprätentiöse, nüchterne Politik mit links-demokratischem Anspruch, der manchem Sozi dann manchmal zu intellektuell ist. Seit 2011 auch im Präsidium des deutschen Städtetags. Er kennt das agierende politische Personal der Republik und ist dabei immer Kommunalpolitiker geblieben. Dass er auch ein Mann ist, der seine rhetorischen Fähigkeiten und seine sympathische Art einzusetzen weiß, steht außer Frage und bringt ihn auch hin und wieder in die Kritik. Trotzdem: Maly ist eine Leitfigur, wie sie in der SPD und vielleicht auch in der politischen Landschaft dieser Tage nur noch selten zu finden ist. Das zeigt sich auch im Erstaunen und Bedauern darüber, diesen Mann zu verlieren. Es verweist aber auch darauf, wie schnell sich an eine solche Figur gewöhnt und damit eventuell auch der Zeitpunkt für einen Wechsel verpasst wird.
Aufzuhören bedeutet also eine Lücke zu hinterlassen, im Rathaus, in der Region, in der SPD. Aber sie ist auch folgerichtig, wie Malys im Laufe seiner Karriere wiederholte Entscheidung gegen das Verlassen der Kommunalpolitik.
Malys Rückzug verweist aber auch darauf, dass hinter der Arbeit, ein Leben steckt. Er hat sich mit dem ‚Privat‘ auseinandergesetzt, was unsere Gesellschaft jetzt und in den kommenden Jahren neu verhandeln muss. „Einerseits sehnen wir uns nach einer anderen Work-Life-Balance“, sagt Maly „gleichzeitig wächst die Zahl der in Deutschland geleisteten Überstunden. In einer jüngst durchgeführten Mitarbeiterbefragung von 10.000 städtisch Beschäftigten, wurde die Frage, ob die Arbeitsbelastung gestiegen ist, durchweg mit „Ja“ beantwortet.“
Da ist sie also, eine Forderung, ein Sehnen, nach einem anderen Verhältnis zur Arbeit. Aber ein Sehnen kann nur aus einer Möglichkeit heraus entstehen. Das sich aus Digitalisierung im Verbund mit der Robotik abzeichnende Bild der Zukunft der Arbeit kann als Verheißung oder als Bedrohung verstanden werden. So oder so, eine Gesellschaft, in der mehr und mehr Menschen auf der Strecke bleiben, weil einerseits zu wenig Arbeit andererseits keine Möglichkeit da ist den Fokus mehr auf das Leben zu richten, muss reagieren. „Ich denke, es gibt keine Alternative zu dieser Veränderung“, sagt Maly. „Aber Deutschland ist von 200 Jahren Industrie- und Leistungsgesellschaft geprägt, von kapitalistischen Denkstrukturen. Es ist noch ein weiter Weg uns von der Kategorisierung von Menschen durch angenommenes Gehalt und damit verknüpftem, gesellschaftlichem Ansehen, frei zu machen.“
Dieses Ansehen ist es, durch das jenes Gefühl entsteht, Maly würde große Schuhe hinterlassen, in die sein Nachfolger erst einmal hineinwachsen müsste. „Das einzige Erbe, das es gibt, ist der Terminkalender. Alles andere muss jeder selbst gestalten“, winkt Maly ab und gibt zu bedenken: „Es ist ein relativ gefährliches Amt, da es große Macht in einer Person vereint – sich selbst auf gesunder Distanz zu wahren, ist die wichtige Daueraufgabe.“ Das Wort „Daueraufgabe“ bedeutet in diesem Zusammenhang auch „unabschließbar“. Man kann nur aufhören, aber eben nie fertig werden. Maly hat mit Witz, Ruhe und klugem Kopf seine Aufgabe nun zu seinem Ende geführt und sich erfolgreich dem Peter-Prinzip verweigert. Der Versuchung zu widerstehen in der Karriereleiter nach oben zu greifen, bis man zwar der Regel des Wachstums entsprochen, aber nicht mehr entsprechend der eigenen Fähigkeiten arbeiten kann. Also im Beruf und damit im eigenen Leben mit der totalen Überforderung konfrontiert zu sein, stellt eine uns alle angehende Herausforderung dar. „Dass ein guter Kommunalpolitiker auch auf Landes oder Bundesebene ebenso gut ist und darüber hinaus, diese unterschiedlichen Ebenen hierarchisch unterschiedlich viel wert seien, ist schlicht falsch“, so Ulrich Maly.
Nun kommen neue Herausforderungen: „Am Ende der Karriere steht auch ein Bedeutungsverlust, da darf man sich keine Illusionen machen“ sagt Maly mit Klarheit, die nach einem solchen Leben nur überraschen kann. Viele Menschen beladen sich am Ende mit Ehren- oder Vorstandsämtern um die Krawatte nicht ablegen zu müssen. Andere versuchen das vermeintlich verpasste Leben mit Weltreisen nachzuholen. „Beides wäre falsch“, konstatiert Maly lächelnd, „ich schließe neue Aufgaben in meinem Leben nicht aus, aber zuerst gilt es sich zu orientieren.“
Trotzdem, manches bleibt: „Ein politischer Mensch bin und bleibe ich“ sagt Maly. Die Arbeit wirkt in das Leben hinein und umgekehrt. Das ist auch gut so, denn ganz gleich, wie sich unsere Gesellschaft und die Work-Life-Balance weiter entwickelt: politisch links-sozialistische und demokratische Menschen brauchen wir – und diejenigen die sowohl ihre Arbeit, als auch ihr Leben ernst nehmen ohne aus dem Ulrich einen Peter zu machen.