Eine lebende Legende

7. Juli 2021 | People

Es passierte mitten in der Nacht. „Die Landstraße ist kerzengerade. Ich fahre 150 Kilometer. Hinter und vor mir zehn Kilometer weit niemand. Dreihundert Meter vor dem Ortsschild werde ich geblitzt und die Fahrerlaubnis ist weg“, erzählt uns Hans Meyer von seinem Überbleibsel eines zweitägigen Ausflugs in die mecklenburgische Provinz. Im Frühjahr 2005 hatte der Fußballtrainer nach dem Ende seines Engagements bei den Gladbacher Fohlen sich die Zeit als Scout vertrieben. „Wenn ich nicht gerade als Scout tätig war, habe ich in VIP-Bereichen gesessen, gut gegessen und getrunken, im Endeffekt also nichts getan“, verrät der heute 78 Jahre alte Fußballfachmann mit verschmitztem Lächeln.

Interview: Fabian Lämmermann und Daniel Wickel Bilder: Grischa Jäger

Ein Anruf von Thomas Brussig, Schriftsteller, Drehbuchautor und Gründer der Autorennationalmannschaft (Autonama), brachte Hans Meyer schließlich zu dieser Zeit ein Engagement als Nationaltrainer, ein erstes Probetraining mit 20 Autoren in Mecklenburg und den Verlust des Führerscheins. „Das Niveau war durchwachsen, aber die Atmosphäre war fantastisch“, erinnert sich Meyer. Es gab selbstgebackenen Bauernkuchen, selbstgeschlachtete Wurstspezialitäten und ein sehr fröhliches Miteinander. „Ich hoffe, ihr schreibt besser, als ihr spielt“, meinte er schmunzelnd zu seinen Spielern.

Zwei Wochen später folgte die Einladung in die Toskana nach San Casciano dei Bagni zur Europameisterschaft. Vier Mannschaften bestehend aus Ungarn, Skandinavien, Deutschland und den italienischen Gastgebern sollten bei der First World Writers‘ League einen Meister küren. „Wir waren mit Abstand nicht gerade die Besten“, lacht der Fußballlehrer, und doch steht am Ende ein respektabler zweiter Platz. „Danach waren wir noch auf zwei weiteren Turnieren aber nie erfolgreich, und dann haben sie es so gemacht, wie alle anderen mit erfolglosen Trainern – sie haben mich gefeuert“, grinst er.

Die Anfänge

Der gebürtige Briesener (heute Tschechien), Jahrgang 1942, wirkt bei unserem Termin im Max-Morlock-Stadion gelassen gelöst. Mit wachem Blick blitzt bei seinen Erzählungen stets der lakonische, ironische Unterton hervor, den die Clubfans von 2005 bis 2008 lieben gelernt haben und die hiesige Presse vor Herausforderungen stellen sollte. Während des Abiturs beendet Hans-Joachim Meyer nebenbei noch eine Schlosserlehre. „Ich habe nie als Schlosser gearbeitet. Das ist auch gut so, denn ich habe heute noch ein Problem damit, einen Nagel in die Wand zu hauen“, witzelt Meyer. Er absolviert ein Studium zum Sport- und Geschichtslehrer, bringt es auf 30 DDR-Oberligaeinsätze als Verteidiger bei SC Motor Jena und erzielt ein Tor in seiner Karriere. „Ein Kopfballtor gegen Michael Strempel, ein beinharter Verteidiger. Jürgen Kohler dagegen war ein Waisenknabe“, schmunzelt er und erzählt: „Als Trainer hätte ich mich übrigens nicht aufgestellt. Fußballerisch war ich als Spieler eigentlich ganz passabel. Konnte aber weder schnell noch besonders lange laufen.“
Und so wird Meyer 1971, mit 28 Jahren, jüngster Trainer der DDR-Oberliga, dreimaliger FDGB-Pokalsieger mit Carl Zeiss Jena, erreicht zehn Jahre später sogar das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger und verliert. „Ich habe oft verloren, aber dieses verlorene Finale hat mich länger verfolgt als zwei Tage. Die Möglichkeit, noch einmal ins Finale zu kommen – das wird nicht mehr kommen. Das wusste ich“, erzählt er von seinem geplatzten Traum. „Rein praktisch gesehen war das mein größter Erfolg. Aber nur der Erste zählt, der zweite Platz zählt einen Scheißdreck“, gibt er zu bedenken.

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Hans Meyer über seine Anfänge, vergangene Erinnerungen und seine Leidenschaft: Fußball.

Eine lebende Legende

Als wäre es gestern gewesen: Hans Meyer auf der Bank des FCN im Max-Morlock-Stadion.

Seine Stationen

Der Fall der Mauer sollte eine Wende im Leben des damaligen Cheftrainers beim FC Karl-Marx-Stadt werden. „Ich war geprägt von einer Unsicherheit, wie es weitergehen wird, und hatte schon ein paar schlaflose Nächte. Stets als Fußballlehrer gearbeitet und angestellt beim Staat, kam man in eine Konkurrenzsituation, die einem so nicht bekannt war. Dieses Problem hatten ja viele Menschen nach dem Mauerfall“, blickt er zurück auf diese Zeit. Trotz der sportlichen Erfolge kam zu der Zeit keine einzige Anfrage aus dem Westen. „Hans Meyer ist ja auch kein Name, sondern ein Sammelbegriff“, lacht er.

Zufallsbedingt landet der damals 53-Jährige in Holland bei Twente Enschede. „Wir lagen mit Union Berlin richtig gut im Aufstiegsrennen. Und ich werde für mich überraschend plötzlich entlassen. Zehn Jahre zuvor hatte ich mit Rot Weiß Erfurt gegen Twente gespielt, und die haben gerade einen Trainer gesucht“, beginnt er begeistert von seinem fast vier Jahre währenden Abenteuer in den Niederlanden zu erzählen. Der holländische Fußball imponiert ihm. Der Ball stets im Vordergrund, drei Offensivspieler in jedem Spiel auf dem Platz und alle hervorragend ausgebildet. „Nur hatten einige Spieler alles für wichtiger erachtet als Fußball. Während der Faschingszeit habe ich drei, vier Spieler 14 Tage lang eher selten in einem leistungsfähigen Zustand gesehen“, gibt Meyer mit einem Augenzwinkern preis.

Auf die Frage hin, was denn der Unterschied zwischen den Niederländern und den Franken sei, erwidert er lachend „Hier in Franken fährt fast keiner mit dem Wohnwagen in den Urlaub und lebt nur von Konserven auf seiner Reise“. Die nächsten Stationen auf seiner Reise sind Mönchengladbach, Berlin, Nürnberg und wieder Gladbach. 2009 hängt er seine Trainerkarriere an den Nagel und unterstützt als viertes Präsidiumsmitglied seit mittlerweile zehn Jahren die Fohlen aus Gladbach.

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VERGANGENE ERINNERUNGEN

„In schöner Regelmäßigkeit ist Fußball stets das Gleiche“, bringt Meyer 2007 die Auszeichnung Fußball-Spruch des Jahres. Kopfschüttelnd meint Hans Meyer: „Ich habe nie verstanden, dass dieses Zitat so aufgewertet wurde. Eigentlich eher etwas für 3 Euro ins Phrasenschwein. Klar hat sich der Fußball verändert in den letzten fünfzig Jahren, aber grundsätzlich sind die entscheidenden Punkte immer noch die gleichen“.

Ihm widerstrebt der Videobeweis in seiner jetzigen Form. „Wenn wir schon verändern, dann sollte es aus der Praxis kommen und nicht von oben. Wir verlängern das Spiel um zehn Minuten, und bei keinem Tor kannst du richtig jubeln“, warnt Meyer entnervt. Gejubelt hat vor vierzehn Jahren mit ihm der Großteil der Region, als der 1. FC Nürnberg den DFB-Pokal in den Berliner Himmel stemmen durfte. „Das 1:1 im Finale hat Marek Mintal unsterblich gemacht, gekoppelt mit einem unheimlich tollen Menschen. Leider hat in meiner Zeit die medizinische Abteilung mit ihm viel mehr zu tun gehabt als ich.“, erinnert er sich. Sein verlängerter Arm zu der Zeit hieß Tomas Galasek. „Er kam zu uns mit 35 und konnte ja kaum noch laufen und war natürlich schon über seinem Leistungszenit. In seiner Glanzzeit wäre er für uns nicht finanzierbar gewesen“, gibt der Fußballtrainer preis. Erinnerungen an die damalige Zeit finden sich in dem Buch „Ganz Nürnberg war in einem Rausch: Die Pokalsieger erzählen“ von Meyers Lebensgefährtin, der Dramaturgin und Autorin Maren Zimmermann und Katharina Fritsch (Leitung CSR-Management beim FCN), das 2017 auf dem sechsten Platz der Fußballbücher des Jahres landen sollte. „Ich persönlich bin ja kein großer Fan von Fußballbüchern, aber dieses Buch ist richtig was wert. Wenn jemand sich noch erinnert an den DFB-Pokalsieg, dann ist diese Lektüre Pflicht“, strahlt Meyer, dessen Lebensmittelpunkt Nürnberg geblieben ist, da er sich in Franken sehr wohl fühlt und nun unweit vom Rathenauplatz lebt.

Wir gehen noch ein letztes Mal ins Stadion. Die Sonne scheint, die Linien werden für das morgige Heimspiel des Clubs gezogen, und Hans Meyer nimmt noch einmal Platz auf der Bank. Wie als wenn es gestern gewesen wäre. Die Legende lebt. Nimmt sich sein Fahrrad, mit dem er zum Interviewtermin gekommen ist und fährt in Richtung Rathenauplatz. Geblitzt wird er heute sicher nicht, dafür ruht dieser Mann viel zu sehr in sich.

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