Aya Jaff stammt aus dem Irak und ist mit ihrer Familie nach Nürnberg gekommen als sie ein Jahr alt war. 2018 hat sie bei Markus Lanz von ihrer Flucht und ihrer Familie erzählt. Ihre Eltern haben beide studiert und ihr stets Weltoffenheit vermittelt. Vor allem haben sie ihr aber auch mit auf den Weg gegeben, dass es im Leben nichts geschenkt gibt und für den Erfolg hart gearbeitet werden muss.
Programmierclub, Börsenspiel und Autorin
Diesen Fleiß und Ehrgeiz hat sie mit 14 Jahren gezeigt, als es ihr im Informatikkurs nicht weit genug gegangen ist – sie wollte mehr lernen als nur HTML, sie wolle verstehen, wie man Apps programmiert. Kurzerhand hat sie sich in ihrem direkten Umfeld Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht, einen Programmierclub gegründet und sich so gemeinsam mit den anderen das nötige Wissen angeeignet. Nur wenig später hat sie mit einem über ganz Deutschland verteiltem Netzwerk das erfolgreiche Börsenplanspiel „Tradity“ mitentwickelt. Zu dem Zeitpunkt stand aber keineswegs fest, dass sie in Zukunft eigene Unternehmen gründen und damit ihren Lebensunterhalt verdienen möchte. „Ich habe das Just-for-fun gemacht. Ich habe weder mit dem Programmierclub noch mit Börsenplanspiel Geld verdient. Es ging viel mehr darum, on the job zu lernen. Ich habe auch später viele Jahre lang durch Praktika in großen Unternehmen und beim Aufbau von technischen Grundlagen bei kleinen Start-ups einen großen Erfahrungsschatz aufgebaut, ohne den Fokus auf den finanziellen Aspekt zu legen“, blickt die Nürnbergerin zurück.
Das Börsenplanspiel war es letzten Endes auch, was sie in der Folge zur Autorin gemacht und auf die Spiegelbestsellerliste gebracht hat. Ursprünglich waren es „nur“ FAQ für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Planspiels. „Irgendwann habe ich mir gedacht, dass ich zu den vielen Finanzfragen, die aus der Community gekommen sind, auch meine Story mit dazu schreibe. Das Buch, die Mischung aus Finanzen und einer jungen Frau mit Migrationshintergrund, hat gleich den ersten Verlag überzeugt. Das Buch kam dann auch noch mitten in der Pandemie heraus, wo die Leute ganz viel Zeit hatten und etwas Neues lernen wollten. Es war einfach eine krasse Experience. Auch heute noch, wenn ich irgendwo getaggt werde, fühle ich mich irgendwie unwohl: da liest jemand Worte, die ich vor ein paar Jahren geschrieben habe. Man hofft, dass es immer noch gut klingt“.
Studieren, ja, aber
Drei Jahre hat sie an ihrem Buch geschrieben, das, was anfangs ein weißes Blatt Papier war, auch zu Ende gebracht. Bei ihrem Studium war das nicht ganz so. „Schon im ersten Semester habe ich alle Karriereratgeber gelesen. Ich war mir komplett unsicher, ob ich den richtigen Schritt mache, ob das der richtige Weg für mich ist. Ich hatte dann das Glück ein Stipendium zu bekommen und sieben Wochen lang im Silicon Valley in vielen Start-ups zu arbeiten, Investoren über die Schulter zu blicken und mich mit anderen auszutauschen. Ich hatte die Hoffnung, dass ich das Feuer wiederentdecke, das ich während meines Informatikstudium verloren hatte, oder aber vielleicht auch herausfinde, dass es OK ist, wenn ich keinen Abschluss mache. Letzen Endes wurde mir aufgezeigt, dass ich keinen Abschluss in Informatik brauche, um Fuß in der Techszene zu fassen – ich muss einfach nur programmieren können“, erzählt Aya, die ihr Studium kurz vor dem Ende schließlich abgebrochen hat. „Der Schritt ist selbstverständlich nicht überall auf Verständnis gestoßen. Aber für mich persönlich hat es einen sehr großen Einfluss auf meine Motivation, ob ich einen Sinn hinter etwas sehe oder nicht. Und den konnte ich beim Studium für mich persönlich nicht mehr erkennen. Wenn ich etwas nicht aus Überzeugung mache, sondern nur aus einem gewissen Zwang heraus, nur um einen Abschluss zu haben, weil es eine gewisse Erwartungshaltung gibt, setze ich mich unnötig unter Druck und werde am Ende nichts davon haben. Schließlich ist heutzutage auch ein Master-Abschluss kein Garant für einen Arbeitsplatz oder für einen Job, in dem man sich nicht gefangen fühlt, den man wirklich gerne macht. Nicht zuletzt habe ich oft das Gefühl, dass man in Deutschland nur etwas schätzt, was zu Ende gedacht ist. Ich frage mich immer, was heißt das. Muss ich jetzt Investment-Bankerin werden, dass Finanzen für mich zu Ende gedacht sind. Muss ich in fünf Start-ups gründen und damit Millionen verdienen, dass ich als Gründerin ernst genommen werde?“
Gründen
Gerade auch ohne diesen Zwang, einen bestimmten Abschluss erreichen oder einen vorgezeichneten Weg einschlagen zu müssen, behält man sich den Blick für Neues offen und kann ohne Scheuklappen durchs Leben gehen. „Insbesondere in der digitalen Welt kann ich als Einzelperson superschnell auf Ereignisse reagieren. Ich bin am Puls der Zeit, verstehe wie meine Freunde ticken, weiß durch Echtzeit-Resonanz was cool ist und was uncool kommt, was gute oder schlechte Marketingideen sind. Wenn ich etwas gefunden habe, eine Idee für ein Start-up habe, etwas, das die Industrie extrem stört, dann kann ich, anders als die großen Unternehmen, Geschwindigkeit aufbauen, es für einen kurzen Augenblick mit den ganz großen Konzernen auf der Welt aufnehmen und den Status Quo in Frage stellen“, schwärmt die Autorin von den Möglichkeiten und der Macht, die kleine Start-ups heute entwickeln können.
Leider haben ihrer Meinung nach aber noch viel zu oft die Investoren die Macht auf ihrer Seite. Denn diese entscheiden, wer Geld bekommt und wer nicht. Gerade bei der Finanzierung von Gründerinnen sieht sie sehr viel Nachholbedarf. „Auch wenn es immer mehr women-venture-capital-only clubs gibt und spezielle Incubator Programme für Frauen auf den Weg gebracht werden, ist der Prozentsatz an Frauen, vor allem BiPOC (Black and People of Color), unter den VC-Empfängerinnen und -Empfängern immer noch verschwindend gering. Da muss ich noch viel ändern“, findet die Gründerin.
Das berühmte leere Blatt Papier
Nicht nur beim Schreiben ist der Anfang der schwerste Schritt. „Ich stehe gerade auch vor einem weißen Blatt und bin seit über einem Jahr auf Suche nach der einer Gründungsidee. Ich wollte im Medizinbereich gründen, habe mich in Start-ups rund um Nachhaltigkeit umgesehen. Ich hatte jedes Mal ein Team gesucht, Accelerator Programme durchlaufen, aber am Ende dann gesehen, dass mir etwas nicht gefällt, die Idee kein Potential hat oder ich kein Funding bekommen würde. In solchen Momenten muss man das Blatt auch einfach zerknüllen und wegschmeißen. Davor hatte ich anfangs viel mehr Angst als jetzt. Es gibt dir ein befreiendes Gefühl, wenn man weiß: wenn dir etwas nicht gefällt, kann man neu starten und das ist nicht schlimm.
Wenn man aber eine Idee hat, ist es wichtig, mit so vielen Menschen wie möglich, darüber zu sprechen. Insbesondere versuche ich auch die jeweiligen Experten zu meinen Ideen zu befragen, mir ihr Feedback dazu zu holen. So steht einem eigentlich jeder Fachbereich offen. Die vielleicht größte Quelle für mich hier in Nürnberg ist die Lange Nacht der Wissenschaften. Die Veranstaltung ist so inspirierend. Am Ende ist mein Mund jedes Mal trocken, weil ich so viel geredet habe. Ganz oft frage ich sowas wie: warum ist das eigentlich nicht neuer Standard, Betonstrukturen mit kleinen Luftpolstern aufzupumpen, weil anscheinend doch die Wärmeregulierung damit besser ist. Das ist etwas komplett Neues. Und dann sagen die Leute, dass das Funding fehlt, dass keiner von ihnen sich darum kümmern und auf Investoren zugehen kann. Dann liege ich zwei Wochen im Bett und überlege, ob das vielleicht die Idee sein könnte.“ Blicke von außen sind ihrer Meinung nach viel wertvoller, als manche Leute darstellen. Sie würde jedem Raten, einfach mal an einem Tag 3.000 Fragen zu stellen, einfach der dümmste Mensch im Raum zu sein, sich nicht zu schade zu sein, Gott und die Welt um Hilfe zu bitten. „Am Ende kann wirklich nur etwas Positives dabei rauskommen. Entweder ich bin am Ende einen Schritt weiter mit meinem Projekt oder ich weiß, wohin die Reise eben nicht geht“, gibt die 26-jährige mit auf den Weg.