Im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg werden Talente für die Profis entwickelt. Im Gespräch mit Michael Wiesinger, Leiter des NLZ, wird deutlich, wie wichtig dabei auch der Blick in die Vergangenheit sowie auf Tradition und Werte des Vereins ist.
Für Unternehmen ist es ein zentraler Faktor, Personal für die Zukunft zu gewinnen. Auch im Fußball hat sich in den vergangenen Jahren viel im Bereich der Nachwuchsförderung getan und seit der durchwachsenen EM 2004, bilden die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) einen wichtigen Baustein für die Entwicklung von Talenten. Auch der 1. FC Nürnberg, der Glubb – wie er in Mittelfranken genannt wird – führt seine Spieler in der eigenen Talentschmiede an den Profikader heran. Als Leiter des NLZ steht mit Michael Wiesinger eine echte Nürnberger Identifikationsfigur an der Spitze, der den Verein als aktiver Spieler geprägt hat.
Wiesinger hat klassisch als kleiner Junge in seinem Heimatort beim SV DJK Emmerting das Fußballspielen angefangen. „Bei mir gab es nichts anderes. Tennis habe ich zwar auch ausprobiert, aber Fußball war eben Fußball“, blickt der 49-jährige zurück. Dass er mit seinem Lieblingssport einmal Geld verdienen kann, war ihm schnell klar: „An das erste Spiel gegen drei Jahre Ältere kann ich mich noch genau erinnern. Die fast schon verächtlichen Blicke, was der Kleine da jetzt will. Nach dem Spiel haben sie nicht mehr so geschaut. Ich habe sie fußballerisch echt zerlegt. Ein Haken hier, ein Haken dort – ich muss heute noch lächeln, wenn ich daran denke. Da wusste ich, im Fußball, mit dem, was du machst, kannst du es weit bringen.“
Maxime lautet: bestens für das Leben vorbereiten
Ab der A-Jugend nimmt seine Karriere weiter Fahrt auf und es folgen Spiele für Auswahlteams sowie Anrufe größerer Clubs. Mit 19 Jahren wechselt der gebürtige Burghausener zu 1860 München. „In München habe ich mit einem Versicherungsverkäufer und einer LKW-Fahrerin in einer WG gelebt. 1860 hat diese Wohnung betreut – was heißt betreut – einmal die Woche hat jemand vorbeigeschaut. Die restliche Zeit war ich auf mich allein gestellt“, konnte der Mittelfeldspieler damals von den jetzigen Verhältnissen nur träumen. Die Erfahrungen, die er damals selbst gesammelt hat, versucht er auch heute bei seiner Arbeit im NLZ mit einzubringen. „Auf der einen Seite nehmen wir den Jungs sehr viel ab, bieten ein Rundumpaket und wollen sie bestmöglich vorbereiten, damit sie den Sprung zu den Profis schaffen. Wenn es für den Fußball nicht reicht, sollen sie aber auch mit beiden Füßen im Leben stehen und sagen können: ich habe beim Club etwas gelernt und bin ein ‚Gstandnes Mannsbild‘. Das sehe ich als unsere Aufgabe, dafür investieren wir viel Energie.“
Auf sich schauen
Nach seiner Zeit in München wird er in Nürnberg heimisch und prägt die Jahre hier als Taktgeber. 1999 macht er den nächsten Schritt und wechselt zum FC Bayern München, mit dem er 2001 die Champions League gewinnt. Er stand dabei eher in der zweiten Reihe. „Als Spieler habe ich mich nur an Einsatzzeiten und Statistiken gemessen. Später habe ich aber erkannt, dass ich auch meinen Teil dazu beigetragen habe. Wir waren damals ein echtes Team, wir hatten den Spirit, den man für solche Erfolge braucht. Auch ich war da rückblickend ein wichtiger Bestandteil. Und wer kann schon von sich behaupten, dass er in Mailand den Pot gewonnen hat. Die Erinnerungen daran sind genial und ich werde sie immer in mir tragen.“
Heute träumen die Jungs genau davon: vom FC Bayern und von der Champions League. „Da wollen sie hin. Aber wir müssen ihnen klar machen, dass wir hier beim Club sind und sie erstmal den Schritt in unsere erste Mannschaft schaffen müssen, bevor sie an Ronaldo und Co. denken können. Ich wünsche mir, dass sie sich mit uns beschäftigen. Mehr gibt es nicht zu tun. Kein Gequatsche, kein Flurfunk, volle Konzentration auf die Aufgaben. FCN-Style: bleib bei dem, was dein Ziel ist, um deine Aufgabe zu erreichen – das ist die oberste Prämisse hier.“
Erfüllung Nachwuchsarbeit
Seine Karriere als Spieler beendet Michael Wiesinger 2009 und gibt sein Debüt als Trainer in Ingolstadt. Sein zwischenzeitliches Engagement als Head-Coach in Nürnberg endet mit einer Freistellung, was für ihn einer der bittersten Momente seiner Laufbahn war. Einige Jahre später kehrt er als Leiter des NLZ zurück nach Nürnberg – dorthin, wo er sich auch zuhause fühlt.
Kurzzeitig begibt er sich nochmal auf den Trainerstuhl und geht 2020 mit dem Glub in die Relegationsspiele gegen Ingolstadt. „Für mich persönlich waren das die wichtigsten Momente hier in Nürnberg. Ich habe ein Team übernommen, in dem es – sicherlich auch pandemiebedingt – kein Miteinander mehr gab. Wir haben wieder Emotionen reingebracht. Das ging nur durch viel Kommunikation, durch banale Dinge, wie mal jemanden in den Arm nehmen, mit viel Empathie. Mit dem Tor zum 1:3 in letzter Sekunde hat sich für mich dann ein Kreis geschlossen. Meine Jahre als FCN-Spieler waren geprägt von Auf- und Abstiegen und ich war beim Phantomtor dabei. Da gab es keine Pokalsiege oder so. Mit dem Klassenerhalt war ich mit mir im Reinen. Ich konnte diesem Verein etwas zurückgegeben. Gleichzeitig war für mich aber auch klar, dass ich wieder in den Nachwuchs gehe, weil das aktuell meine Erfüllung ist.“
Es muss menscheln
Diese Nähe im Team, die den FCN auch vor dem Abstieg bewahrt hat, soll auch die Zukunft im NLZ prägen. „Es muss hier menscheln. Es ist nicht nur meine Aufgabe, das Sportliche voranzutreiben. Vielmehr brauchen die Mitarbeiter Wertschätzung, die Spieler müssen die Philosophie des Vereins verinnerlichen und die Werte leben, die für uns im Mittelpunkt stehen. Sie müssen verstehen, was der Club ist und was für eine Tradition der Verein hat. Ich will Spieler, die bereit sind, sich zu stellen, wenn es Widerstand gibt. Das habe ich beim Club gelernt: du kannst fünf Mal am Boden liegen, du musst nur jedes Mal wieder aufstehen. Dann wirst du merken, dass dir die Leute hier immer wieder eine neue Chance geben.“
Nachwuchsleistungszentrum
Im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg sollen Talente ab der Altersklasse U8 gefördert, entwickelt und idealerweise später an den Profibereich herangeführt werden. Die enge Zusammenarbeit mit der Bertolt-Brecht-Schule, die vom DFB zur Eliteschule des Fußballs ernannt wurde, stellt auch die schulische Ausbildung sicher. Außerdem haben seit 2012 zehn Nachwuchsspieler die Möglichkeit, direkt am Trainingsgelände und nur einen Stock über dem Trakt der Profis in der Akademie zu leben. Durch die direkte Nähe werden den Nachwuchsspielern optimale Rahmenbedingungen zur sportlichen sowie persönlichen Entwicklung gegeben.