Die Abendsonne geht unter und verschwindet am Horizont. Die Silhouette des Towers am Nürnberger Flughafen ragt in den nächtlichen Himmel. Knapp 8.000 erwartungsvolle Blicke – das Garlic Land Festival steuert dem Höhepunkt entgegen. Viertel nach Acht. Prime Time. Avaion betritt die imposante Bühne, stimmt die ersten Akkorde seines Hits „Pieces“ an und nimmt uns sogleich mit auf seine unglaubliche Geschichte.
Text: Daniel Wickel Bilder: Grischa Jäger
Wo andere Kinder während der Bastelstunden Blumen, Tiere und Pistolen gestalten, baut der 1997 geborene Avaion kleine Pianos. Musikalisch geprägt durch seinen Vater, der mit seiner Trompete ständig auf Tour ist, und seinen Opa, der Klarinette spielt, wird ihm das musikalische Talent förmlich in die Wiege gelegt. „Ich hatte als Kind einen Discman und habe schon früh die Musik gespürt. Bei den anderen Kids lief Schni Schna Schnappi und ich habe die Sounds von Michael Jackson und Usher abgefeiert“, erinnert sich Avaion an die erste Berührung mit der Musik. Mit sechs Jahren beginnt er mit Klavier und weil seine Hände zu klein sind, spielt er auf einem Kinderkeyboard. „Es war jetzt aber nicht so, dass ich wie ein kleiner Mozart zuhause saß und komponiert habe“, lacht er „eigentlich wollte ich Fußballprofi werden und so erfolgreich spielen wie Ronaldo“.
Fans
Er bricht sich mit elf Jahren den Arm, was eine Lähmung der Hand nach sich zieht und kann zwei Jahre nicht mehr musizieren. Seine Musiklehrerin fördert sein Talent aber weiter und er entdeckt die Kirchenorgel für sich. „Ein mächtiges Instrument mit einer unglaublichen Akustik, bei dem du über mehrere Etagen und mit den Füßen spielen musst“, erzählt Avaion, der seither auch eine Ausbildung zum Organisten besitzt. Im eigentlich eher klassisch konservativen Elternhaus der Siebenbürger Sachsen kann er sich relativ frei entfalten und wächst nach der Trennung seiner Eltern bei der Mutter in der Nähe von Nürnberg auf. Sein Vater ist bis heute einer der größten Fans seiner Musik. „Meine Mutter wollte, dass ich nach der Schule noch eine Ausbildung mache“, erinnert sich Avaion und beginnt nach der FOS eine Lehre zum Industriemechaniker. „Natürlich wurde ich von meiner Mutter belächelt, als ich gesagt habe ich will Rockstar werden“, schmunzelt der Musiker, als er nebenbei zur Ausbildung bereits erste Auftritte in Discotheken hat und bis vor knapp einem Jahr noch seinem Job in Vollzeit nachgeht. „Im letzten Winter habe ich bei einer Weihnachtsfeier tagsüber Auffangbecken in einem Pissoir getauscht, um dann abends eine ausverkaufte Show zu spielen“, erzählt er von seiner Entscheidung, sich zu 100 Prozent auf das Musikgeschäft zu konzentrieren.
Sounds
Er bringt in Eigenregie den Song „You“ heraus, dreht mit Freunden ein Musikvideo und erhält eine Anfrage von Sony. „Morgens scrolle ich durch meine Nachrichten bei Instagram und habe eine Anfrage von einem Scout aus München. Erst mal gegoogelt, ob es den Menschen überhaupt gibt“, lacht Avaion, der heute mit einem Majorlabel-Plattenvertrag bei Sony ausgestattet ist. Fast vier Millionen monatliche Hörer:innen bei Spotify, mit Platin ausgezeichnet und über 80 Millionen Streams seines Erfolgshits „Pieces“ haben zehn Jahre Arbeit hinter sich. „Wenn du liebst, was du machst und einen eigenen Stil kreierst, kannst du alles erreichen“, sagt der Künstler „und ein bisschen Glück brauchst du natürlich auch“. Songs schreiben. Produzieren. Gesang aufnehmen. Avaion macht alles selbst, ist Autodidakt und bringt sich viele seiner Fähigkeiten selbst bei. Er lernt Gitarre, spielt Synthesizer und erschafft eine Musikrichtung, die es bis dato noch nicht gibt. „Jeder Sound ist eine Welle, die veränderbar ist. In der Schule habe ich mit Beatboxen gearbeitet, heute kann ich jeden Sound der Welt zu einem anderen Sound machen“, strahlt er. Jeden Tag erhält der junge Musiker Demos zugeschickt und auch wenn diese musikalische Qualität versprechen, geht er nur seinem eigenen Stil nach. „Demnächst gibt es allerdings eine Zusammenarbeit mit Elderbrook und auch mit Post Malone würde ich gern eine Kollaboration machen“, verrät er.
Teams
Im Team arbeitet Avaion seit einigen Monaten mit zwei seiner besten Freunde im eigenen Studio in Erlangen zusammen. Ein altes Bürogebäude, unscheinbar gelegen, perfekt zum Aufnehmen der nächsten Singles. Aktuell ist ein Album nicht geplant, aber eine EP mit ein paar neuen Sachen. Zu seinen Songs produziert er mit dem kleinen Team von der Videoagentur OTP Musikvideos. Im April wurde zur Single „Lies“ bei Simira Tang im Villibald in Nürnberg gedreht, einer langjährigen Freundin, die er noch vom Skaten kennt. Überhaupt sind persönliche Verbindungen dem jungen Künstler wichtig, der es feiert, wenn andere Künstler:innen seine Songs spielen oder er Backstage von Kolleg:innen erkannt wird. „Letztes Jahr saß ich noch zuhause im Kinderzimmer und habe produziert“, lächelt der 25-Jährige, der seinen Traum lebt. Im Sommer wird er das erste Mal auf Tour gehen und gut 30 Auftritte in Europa bestreiten. Im kommenden Jahr steht für ihn mit dem Tomorrowland das größte Festival der Welt in Belgien an. „Da oben auf der Bühne zu stehen und die Reaktionen des Publikums zu sehen ist das Schönste an meinem Beruf“, sagt er und dreht den Sound noch ein bisschen lauter. Die Menge bei Garlic Land tobt und singt die ersten Zeilen laut mit. Es kribbelt. Gänsehaut. Die Sonne geht weiter unter. Und sein Stern geht immer weiter auf.