Unser Blick geht in einen kleinen Raum, beiges Ledersofa, hübsche Bildbände im Designregal – zu klein für die Runde von heute. Zum Netzwerken sonst sicher ein toller Ort. Abstände einhalten ist angesagt. Wir treffen auf Sandra Calabrese, die es sich im großen Besprechungsraum bereits bequem gemacht hat und sich am Wasser bedient. Wir stellen die Box mit den frischen Croissants die wir zum Businessbrunch mitgebracht haben direkt vor ihr ab. Aliza Charoensri betritt den Raum mit einem Cappuccino in der Hand – ein kurzes herzliches „Morgen“ in die Runde. Jetzt heißt es Abstand halten, Sitzordnung prüfen, Kaffee einschenken, Croissants verteilen.
Kreativität in der Krise
„In der Schule gibt es immer einen der alles organisiert – der war ich.“ erzählt Max, der in Bayreuth Sportökonomie studierte und seit fast 15 Jahren mit seinen Veranstaltungen als DJ und Eventmacher das Nachtleben bereichert. Das quasi Berufsverbot bringt den 33 Jahre jungen Unternehmer mal wieder dazu kreativ auf die neue Situation zu reagieren. „Vieles entsteht aus einem Gefühl, einer Idee, einem Gedanken heraus.“ berichtet er mit leuchtenden Augen von der Metamorphose des Techno-Clubs Mitte Soundbar in einen Gemüse-Pop-Up-Store. Neben frischem Obst und Gemüse aus dem Knoblauchsland verwandelt das junge Team den Hallplatz in eine Oase und hilft gleichzeitig dem Gartencenter der Noris Inklusion und verkauft deren Pflanzen und Kräuter.
„Krisenzeiten sind auch meine kreativsten Zeiten“ erwidert Sandra, die mit ihrem feinen Chocolat in der Hutergasse seit fast 17 Jahren die Gaumen verzaubert. Zu Beginn hat die gebürtige Heilbronnerin noch aus Unwissenheit belgische Schokolade als italienische verkauft und lacht bei der Erinnerung an die Eröffnung, dass „wir auf jeden Fall einen anderen Namen wollten – bloß nicht Chocolat.“ Aus einer Lebenskrise heraus wagte die 45-jährige Halbsizilianerin den Schritt in die Selbstständigkeit, wobei die große Leidenschaft eigentlich im Eis liegt. „Schon als Kind habe ich in Sizilien alle Eisdielen abgeklappert auf der Suche nach dem besten Zitroneneis.“ schmunzelt sie. Jetzt muss sie nur nach Gostenhof fahren und in ihrem eigenen Eiscafé die feinen Kreationen genießen.
„Meine Mutter hat Brötchen auf einer Insel gebacken, wo es schwierig ist überhaupt einen Backofen zu bekommen. Weil alles im Wok zubereitet wird.“ lacht die ehemalige Gründerin der Agentur Zeitvertreib, die in einem kleinen Dorf in Thailand aufgewachsen ist und aus einer gastronomischen Familie stammt. Nach sechs Jahren in Asien zieht die Familie in ein 142 Seelen-Dörfchen in der Oberpfalz. Mit 18 geht es allein nach München, Berlin, Thailand und zurück in die Region – mittlerweile mit Kind und Kegel. Früher fast jedes Wochenende aufgrund ihrer Arbeit in der Musikindustrie viel unterwegs, schlägt die Netzwerkerin jetzt eher ruhige Töne an. „Durch Corona habe ich drei Monate entschleunigt.“ erzählt sie und so wurde im Familienverbund überlegt, was jetzt gemacht werden kann.
Alles auf Anfang: „Normalerweise sind wir verantwortlich dafür, Freizeitgestaltung zu machen für Menschen, die wichtigere Dinge machen. Aber immer nur Spaß?“
Also zieht sie aus der Schublade die Idee von „Marktschwärmer“ und bringt regionale Produkte via App und Online zu den Menschen in der Stadt. „Als Kunde siehst du ganz genau was beim Bauern übrig bleibt. Wie weit sind deine Produkte angereist und welche Bio-Siegel hat der Bauer – alles transparent.“ erläutert sie die Idee ihrer Agentur. In der Vergangenheit hat der Familienverbund bereits erfolgreiche Konzepte wie den Nightmarket, den Schwarzmarkt, eine Rollerdisco oder Sneakermessen durchgeführt. Und jetzt eben die Marktschwärmer, denn „Die Menschen achten heute viel her darauf, woher etwas kommt.“ strahlt sie „Ich habe noch 1.000 weitere Pläne in der Schublade.“
Max lächelt und denkt an seinen Gemüse-Pop-Up-Store: „Mit manchen Themen ist man in Nürnberg der Zeit voraus. Ist das jetzt der Techno-Club oder der Gemüseladen?“ und mit einem Lachen „In Berlin muss man das keinem erklären. Würde man da dann noch Lampen verkaufen wäre das auch egal.“
Solidarität und Sterne
In eine Schublade kann man den letzten Gast der Runde nicht stecken. Ein paar Minuten später kommend betritt Valentin Rottner den Raum: „Die Ölheizung hat den Geist aufgegeben und da musste ich mit anpacken“ entschuldigt der junge Sternekoch sein Zuspätkommen. Ausbildung bei Alex Herrmann, Küchenmitglied im Sternerestaurant auf Sylt und im kleinen Team im Spatzenhof in Wermelskirchen seinen ersten Stern erkocht – der Mann war viel auf Reisen. „In den Sterneküchen ist es ein hartes Geschäft. Du brauchst eine gewisse Vita.“ veranschaulicht er „Ist eben etwas anderes als wenn ich im Schnitzelkönig war.“ Sein Vater Stefan hat mit 40 Jahren den Stern erkocht, der Junior ist zehn Jahre jünger. Neid? „Nein – Stolz. Und ich selbst bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe mein Projekt im elterlichen Betrieb zu realisieren.“ Statt einfach den Familienbetrieb eines Tages zu übernehmen, lernt Valentin Verantwortung zu übernehmen, zudem „gerade das der schwerste Weg ist, wenn ich da geblieben wäre und den Laden meines Vaters übernommen hätte“ – auf ewig nur der Juniorchef. Dieses Verantwortungsbewusstsein gibt er auch an seine Auszubildenden weiter – den Bezug zur Heimat, zur Region und zur Nachhaltigkeit. Das vor zwei Jahren eröffnete Waidwerk im Südwesten von Nürnberg setzt auf genau diese Themen und wurde belohnt mit einem Michelin-Stern.
Einen Stern hat Sandra mit ihrem Fachgeschäft Chocolat zwar nicht errungen, doch der Feinschmecker zeichnete sie aus mit dem Titel „Beste Schokoboutique Europas“ und zog Feinschmeckertouristen aus ganz Europa nach Nürnberg. Und Nürnberg ist für die seit 1993 hier lebende Schwäbin zum Zuhause geworden „Der Franke ist ein sehr treuer Mensch. Und hat ein großes Herz.“
Ein großes Herz hat auch Max, der in der Vorweihnachtszeit eine Charityaktion mit Max Mutzke plant. Wenn Corona es zulässt. Auch die zwei Damen und Valentin kümmern sich trotz der Krise um schlechter gestellte Menschen, die eigenen Mitarbeiter und ihre Familie. „Es geht darum, dass Existenzen bestehen bleiben. Dass mein Vater in Ruhe Abends ins Bett gehen kann und nicht nachdenken muss: Was soll ich jetzt machen?“ gibt Valentin zu bedenken. Solidarisch zu sein und nach vorn zu schauen ist für alle vier das Zauberwort. „Wir müssen die Situation so annehmen. Wir können es eh nicht ändern, sollten nach vorn schauen und nicht der Zeit hinterhertrauern wie es einmal war.“ meint Max und Aliza fügt an „Ich finde es total schön, mit anderen gemeinsam neue Projekte zu erschaffen.“ So wie Max und Valentin, die mitten in der Krise ein Seated-Dinner-Event mit der Morgentau Rooftop-Reihe auf die Beine gestellt haben oder wie Max sagt: „Gutes Essen, gute Musik, bis zu 40 Grad.“ Das lassen wir dann mal so stehen und freuen uns auf den nächsten Sommer – ohne Regen.